29. Mai 2025 von D2P
Die Zwei Plagezeichen und das kreischende Bettlaken (6)

Gesamtwertung: 92%

Was ist unsichtbar und riecht nach alten Socken? Richtig geraten — eine Wanderung zum Nebelberg. Also Caprisonne eingepackt, Rucksack auf den Rücken, nochmal Pipi und los gehts!
Gleich zu Beginn spricht Mark ein wichtiges Thema an: Jede und jeder liebt diese Folge. Die Frage ist nur: Warum? Denn vieles spricht dagegen, wie zum Beispiel die erste Einstellung. Minutenlanges Weckergeditte (im Buch mit 8, im Hörspiel mit 4), lange Szenen voller Exposition, labberige Timelines und herkulische körperliche Leistungen scheinen hier kein Gewicht zu haben. Eines ist jedoch klar: Die Atmosphäre ist mit nichts aus der Welt der Drei ??? zu vergleichen. Eine Geschichte, die entrückt ist. Entrückt aus der staubigen, vom Smog der Großstadt gelblich angegrauten Kulisse, in der die drei Detektive für gewöhnlich ihre Verbrecher*innen verfolgen. Und diese Entrückung funktioniert. Ganz speziell in Kombination mit Musiken, die man zuvor noch in keiner Folge gehört hat und von denen man sich gern einlullen lässt. So sehr, dass man vor Entspannung beinah das scheußliche und vollkommen überflüssige Foreshadowing übersieht.
«Es klingt, als ob jemand im Badezimmer in ein Lego tritt.»
Nun gut, wir alle haben unsere eigene Vorstellung, wie ein Nebelphantom schreien könnte und wir zwei sind uns hier ja auch nicht einig. Und und: Auch die Vorstellung, im Badezimmer nackten Fußes in ein Lego zu treten, birgt ja eine ganz ernst zu nehmende Grausigkeit. Über den Hall kann man denken, was man will, aber er unterstreicht die Entrückung der Situation schon ziemlich gut. Schade, dass die Flucht so wenig Beachtung findet und auch die darauf folgende Nacht in Angst (hier passt der Name wirklich) hätten die Folge noch etwas düsterer gemacht. Aber sei’s drum, man kann natürlich nicht jeden Strang auserzählen.
«‘Ja, das ist gut’ und ich denke so: Nee! Das ist überhaupt nicht gut!»
Erstmals in dieser Folge — und auch (mehr oder weniger) im gesamten Drei ???-Kosmos — ist die Bobxposition. Während der letzte Detektiv kratzenden Stiftes in sein Reisetagebuch schreibt, begibt er sich in die Rolle des Erzählers. Dabei wird er untermalt von Naturgeräuschen und spezieller Bobxposition-Musik. Ein Stunt, der sich auszahlt. Denn auch er trägt zur Entrückung bei und, ganz ohne dass man es bewusst bemerkt, wandelt sich der allwissende Erzähler (von dem man erwartet, dass er einen im Vorfeld warnt bevor etwas Schlimmes geschieht) zu einem Ich-Erzähler, der natürlich keine Ahnung hat, welche Schrecken hinter der nächsten Ecke lauern. Hinterfotzig aber auch irgendwie schön. Schöner allerdings wäre es ohne Eigenlob, vor allem wie Mark schon sagt: große Literatur ist es nicht gerade. Kein Applaus für Scheiße!
«Vor meinem Auge hat er mindestens eine Feder am Hut.»
Der berühmte Wunderliterat Harry Falkner. Von vielen geachtet, von manchen gefürchtet. Immer gut frisiert und rasiert, stets mit makellos gekrümmter weißer Feder am ausladenden Hut. Goethe meets Schiller meets Dan Brown. Und auch wenn anders als im Buch beschrieben, muss man hier neidlos grandioses Casting attestieren. Die Stimme bringt seine Selbstverliebtheit mit all ihren Facetten wunderbar auf den Punkt.
— Wunderliterat Harry Falkner, 2002, Airbrush über Öl, Künstler*in unbekannt*
*schämt sich mittlerweile für die meisten Werke
«…das Inhaltsverzeichnis auf dem Laptop?»
Und alle Augen rollen nach oooooben! Ach ja, das ewige Mysterium: Die Technik. So lang es Hörspiele gibt, werden technische Systeme nur mit der Kneifzange beschrieben werden, und genau so lange werden wir jedes Mal wieder darauf aufmerksam machen. Bei aller Liebe aber: Inhaltsverzeichnis? Was ist hier gemeint? Der Explorer? Das Taskmenü? So oder so: sehr gut organisiert der werte Herr Schreiberling. Erinnert ein wenig an die TV-Serie „Die Dinos”, in der Earl eines Tages meinte, das gesamte Wissen der Dinosaurier in 3 Kategorien einteilen zu können: Dinos, Gemüse, Felsen.
Durch diesen Unsinn lassen wir uns jedenfalls nicht ablenken von etwas, das man in Fachkreisen als „lazy writing” bezeichnet. Da wird alle Exposition über der Hörerschaft ausgeschüttet, so dass auch wirklich jede kleine Frage, die man bis hier her hatte, beantwortet wird. Naja, fast jede. Denn plötzlich reißt der Satz mittendrin UND KURZ VOR DEM ABSOLUT ALLER-ALLERWICHTIGSTEN WORT ab! Was fehlt, ist der Einstieg in die Höhle. Hm, wo könnte er nur sein? Suchen wir zu allererst auf dem Dachboden. Danach im Badezimmer!
«Vielleicht hat sie auch so superlange Fingernägel?»
Im Buch ist die Auflösung dieser Szene vielleicht (und das erfordert wirklich Appetite for Destruction-level Akzeptanz) sogar noch doofer (vom Gefühl her ‘dööfer’) als im Hörspiel. Dort will Tochter Sarah weiterscrollen und anstelle der Pfeil-nach-unten-Taste erwischt sie leider den Power-down — ooh Verzeihung, ich meine natürlich den Geräte-Ausschaltknopf, der sich DIREKT NEBEN den Cursortasten befindet. Was genau sich der Hersteller dabei gedacht haben mag, bleibt, wie vieles in dieser Folge, im Nebel verborgen. Praktische Gründe können wohl ausgeschlossen werden. Bleibt nur die Erklärung der langen Fingernägel. Sarahs Fingerkuppe tippt auf die richtige Taste aber die Spitze ihres 27cm langen Fingernagels (stört im Alltag üüberhaupt nicht) trifft unglücklicherweise den Power-Knopf (siehe Abb. unten). Da machste nix.
— Illustration: Aus Versehen anstelle von scroll-down leider power-down.
«Dass Justus der Dicke ist, konnte [Marc] ja auch im Nebel erkennen»
Kleines Detail, große Wirkung. Den Dicken hätte man ja vielleicht wirklich im Nebel ausmachen können (und das wäre dann auch wirklich der Ritterschlag für den Jahrhundert-Schriftsteller Falkner gewesen, den ersten Detektiv als ‘den Dicken’ zu charakterisieren), aber der Altkluge war im Nebel definitiv nicht zu erkennen! Und immer wieder: Timeline, Timeline, Timeline. Bob kann in Falkners Geschichte unmöglich lesen, was er liest, denn das konnte Falkner noch nicht wissen als er es schrieb. Dafür gibt es nur zwei mögliche Gründe: dem Autoren war es egal oder BOB LÜGT! Was? Bob? Unser liebgewonnener ‘ja-das-ist-gut’-Ich-Erzähler? Nee, unmöglich. Was, also haben Sie zu ihrer Verteidigung zu sagen, Herr Marx?!?
«Vielleicht sollte ich doch mal in der Höhle weitergehen.. aber würde das Sinn machen?»
Nein, natürlich nicht. Es wird nach einer verschlossenen Höhle gesucht! Diese hingegen ist offen. Und weil nicht sein kann, was nicht sein darf, muss man hier dem hünenhaften Blitzmerker und Gelegenheits-Sprengmeister Radcliffe eine Lanze brechen. Übrigens gehen wir davon aus, dass die papierdünne Felswand gar nicht wirklich aus Fels war, sondern vermutlich die Art und Weise, auf die der Eingang zur Mine von Ashford vor vielen Jahren verschlossen wurde. Warum dieser Verschluss nicht direkt an der Außenseite angebracht wurde, bleibt — ebenfalls wie vieles in dieser Geschichte — nebulös. Falls ihr euch bei der Geographie nicht sicher seid, hier eine Karte (aus der Erinnerung gezeichnet, nichts maßstabsgetreu).
— Auch wenn so ein Berg im Allgemeinen als recht groß bezeichnet werden kann, sind die Distanzen vor Ort dann doch erstaunlich gut zu überblicken..
Fazit: Das Leben denkt sich manchmal Geschichten aus, da kommt kein Kinderbuchautor drauf. Durch puren Zufall treiben auf dem Nebelberg gleich zwei kriminelle Unternehmungen gleichzeitig ihr Unwesen. Und als dritte Unabhängige dann noch die Drei ???. Ergibt eine kombinierte Wahrscheinlichkeit von P(X) = P(A)*P(B)*P(C). Vielleicht nicht gleich Null. Aber die meisten Zahlen sind nicht gleich Null.. Trotzdem gute Folge (hatten wir ja auch so angekündigt) mit tollen Spannungsmomenten und aus unbekannten Gründen lange Szenen, die trotzdem nicht langweilig sind. Ein gelungner Schrei und — Chapeau — die Nebligkeit der Geschichte ist soundtechnisch wirklich erste Sahne umgesetzt. 92% So genug geschleimt, wann Geld?
In der nächsten Folge wird es geheim und übernatürlich. Wobei — sind UFOs überhaupt übernatürlich? Denn die Sonne ist z.B. ja auch jetzt nicht irdisch und trotzdem kein Hokuspokus.. Darüber müssen wir sprechen. Und über einiges mehr. Kommt alle und bring alle mit. Bob macht Fotos.